50 Minuten Polarkreis

Mein Album des Jahres 2018 – Noorvik – Noorvik

Als vor etwa acht Jahren Streaming-Dienste wirklich bekannt und erfolgreich wurden, haben viele das Ende der Musikbranche prophezeit. Gar apokalyptische Szenen wurden gezeichnet, von Weltstars, die plötzlich nicht mehr hauptberuflich Musiker sein können. Alles ist nicht passiert. Im Gegenteil, es war nie so einfach für kleine, noch unbekannte Bands Musik öffentlich zu machen. Und sind wir mal ehrlich, die kleinen Musiker, die ich so schätze, die die Musik machen die mich berührt, konnten noch nie von Plattenverkäufen leben, genauso wenig wie von einer Tour. Es wurden häufig Alben auch kostenlos zum Download angeboten um die Musik die man gemacht hat möglichst vielen Menschen zur Verfügung zu stellen. Ein Autor schreibt doch seine Bücher auch damit sie gelesen werden. Musiker wollen dass ihre Musik gehört wird. Davon leben wäre schön, aber gelingt nun mal den wenigsten.

Trotzdem hat Streaming bei mir einiges an Hörgewohnheiten verändert. Früher kaufte ich ein Album, zunächst auf CD, später digital und hörte dieses Album immer wieder komplett durch. Ich liebe Alben, ich sehe sie als Gesamtwerk und es missfällt mir einzelne Teile heraus zu nehmen. Aber durchs Streaming habe ich begonnen einzelne Lieder in eine oder verschiedenen Playlists zu werfen und diese auf Shuffle zu hören. Aber ich höre weiterhin ganze Alben, wenn auch nicht mehr so oft wie früher. Aber durch die einfache Verfügbarkeit höre ich besonders viele verschiedene Platten. Die letzten Tage habe ich viel gegrübelt welches Album mir besonders wichtig ist, welches heraussticht. Ich kam auf keinen grünen Zweig. Als ich gestern dann aber im frostigen und verschneiten Frankenwald laufen war und mir dachte, dass es hier gerade aussehe wie in Alaska oder Kanada kam mir plötzlich der Gedanke an dieses eine Album, das ich ständig hörte, manchmal täglich. Es war das Album Noorvik der gleichnamigen Band. Noorvik spielen progressiven Postrock und kommen gänzlich ohne Gesang aus. Das lässt Raum zur Interpretation. Die Titel der Songs geben einen Hinweis wo sich der Ort befindet, der da musikalisch gemalt wird. Ich lasse mich gern dort hin entführen.

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DENALI

Synthesizer mit viel Echo leiten den Song ein, ein Gitarren-Pick im Duett steigt ein, ein ruhiges Schlagzeug. Während dem ganzen Stück steigert sich die Intensität und die Härte, als würde man auf eben diesen titelgebenden höchsten Berg Nordamerikas steigen. Dramatik und Harmonie. Härte und Hoffnung. Kurz kehren wir zum ruhigen Anfangsriff zurück bevor der Song in seinem Finale gipfelt und sich der Spannungsbogen in den fast fünfminütigen Klimax ergießt und in ruhigen Synthie klängen verklingt.

SHISHALDIN

Das ist Vulkan zwischen Ost-Kanada und Island. Von den Ureinwohnern, den Aleuten, wurde der Berg Sisquk genannt, was so viel heißt wie „Der Berg der mir den Weg zeigt wenn ich mich verirrte habe“. Das Stück beginnt aufwühlender, schwerer und bedrückender. Ein Basslauf bildet das Rückgrat auf dem Gitarren stoisch tanzen. Das Schlagzeug drängt sich kurz nach vorne, bevor mächtige Riffs die Tür aufstoßen und Harmonien über den Bass ergossen werden. Bedrohlich wartet man auf den nächsten Ausbruch des Vulkans und wird nicht enttäuscht. In der letzten Minute kommt es zur Eruption des wahrscheinlich stärkstem Riff der Platte.

MALASPINA

Dieses Riff ergießt sich in den nächsten Song und wird von harten Gitarren aufgefangen, die den Hörer in ruhigere Sphären bringt, mein erster Gedanke war ein kalter Fluss, der sich durch raue Natur schlängelt. Kein Lebewesen, nur die Harmonie der unberührten Wildnis. Diesem Flusslauf kann man nun Folgen bis zu seinem Ursprung aus dem Malaspinagletscher an der südlichen Pazifikküste Kanadas, der zu den größten Vorlandgletschern dieser Erde zählt. Auch der Song kommt dort nach etwa viereinhalb Minuten an und die Harmonien bauen sich zu gewaltigen Gitarrenwänden auf, die sich anfühlen wie die zerklüfteten Gletscherspalten.

CHUGACH

Dem Sägezahn-Profil einer Gebirgskette folgend beginnt der Song, um direkt in einen ruhigen Part zu wechseln, der den einzigen gesprochenen Text der gesamten Platte enthält, in dem ein Sprecher über die Stadt Noorvik. Namensgebend ist hier jedoch die Chugach-Gebirgskette im Golf von Alaska. Und spätestens wenn nach 5 Minuten eine Doublebass Druck in den sonst eher ruhigem Lied aufbaut, weiß man dass der Song die unterschiedliche Flora und Fauna des US-Bundesstaats Alaska umschreibt. von wilden Wäldern bis zu einsamer Tundra.

KOBUK

Besinnlich und fast schon still beginnt das Stück, das nun wirklich einen Städtenamen trägt. Man kann es an urbanen Klängen erahnen, die sich wie die Morgensonne klar und grell durch verschneite Straßen ergießt. Die Stimmung baut sich viel ruhiger auf als bei den anderen Stücken der Platte. Es strahlt Freude aus, als würde sich nach einem langen Winter die ersten Anzeichen des Frühlings zeigen. Hoffnung lässt sich nicht wegdiskutieren.

TURNAGAIN

Beim letzten Song des Albums ist das Thema des Wassers wieder klar erkenntlich. Behaglich fließen wir zunächst durch den Arm des Wasserwegs, der den Golf von Alaska mit dem Cook Inlet verbindet. Die härteren Töne kehren zurück und beleuchten den am dichtesten zivilisierten Teil Alaskas. Drohend, ermahnend wirkt der Song. Wie viel Recht hat der Mensch sich dieses Wildnis zu eigen zu machen, wohlwissentlich, dass jedes Land in das die Menschheit ihren Fuß gesetzt hat für immer verändert wurde. Mit dieser Dramatik spuckt einen Noovik wieder zurück in die Realität.

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