Mein neuer kratziger Pullover

Seit Jahren redeten wir darüber, dass ich gerne einen handgestrickten Pullover besitzen würde. Wir waren schon soweit, dass ich nur noch Wolle hätte kaufen müssen. Aber immer wieder kamen wir vom Weg ab. Ich hatte immer wieder das Gefühl, dass es doch komisch ist, wenn ich mir von jemand der mir nahe steht Kleidung herstellen lasse. So kniff ich. Das letzte Mal als wir darüber redeten wie schön handgefertigte Kleidung ist, blätterten wir anschließend durch ein Buch in dem Abbildungen von typisch schottischen Strickmustern abgebildet waren, weil wir über den Strickkurs redeten, in dem sie gelernt hat, wie man ein solch traditionelles Kleidungsstück anfertigte und kaum erwarten konnte ihr neues Wissen anzuwenden.

Ein Muster gefiel mir besonders gut. Das sagte ich. Tage später bat sie mich ihr doch einen meiner gutpassenden Pullover zu leihen um Maßnehmen zu können. Schließlich rückte mein Geburtstag näher. Ich schickte ihr meinen liebsten schwarzen Pullover. Sie erzählte mir, dass sie Shetland Wolle gekauft hat, diese aber kratzig sei und sie hoffe, dass mich das nicht stört. Es störte mich nicht, sagte ich. Dann kehrte lang Schweigen ein. Ich ging davon aus, das Projekt würde sie wie alle anderen Anläufe vorher im Sande verlaufen, weil ich nicht mehr nachfragen werde und sie nicht die Zeit aufbringen würde, ein so großes Werkstück herzustellen.

Ich täuschte mich jedoch. Am vergangen Freitag kam ein Paket an. Oben auf ein Zettel „Lieber Florian, ich wünsche dir viel Spaß mit deinem neuen Pullover und hoffe dass er passt. Steffi“. Ich nahm den in Papier eingeschlagenen Pullover aus dem Karton und hielt ihn mir an die Wange. Er kratzte, selbst durch meinen Bart spürte ich die raue Patina der schottischen Highland. Sofort zog ich ihn über den Kopf. Als die Schurwolle über meine nackten Unterarme strick, kribbelte alles, die Haut juckte, mein großflächig tattoowierter Arm, dessen Nervenenden etwas empfindlicher sind als die der restlichen Haut brannte förmlich. Ich war sofort verliebt. Das war mein Pullover, der nur für mich hergestellt wurde. In Stunden von pingeliger Kleinarbeit mit Nadeln aus Garn zusammen gefasst. Seit zwei Tagen Trage ich, ausser im Bett und wenn es zu warm wurde, diesen Pullover.

Das Wetter passt gerade ganz wunderbar dazu. Seit zwei Tagen peitscht der Wind den Regen gegen Fenster und Dach. Die Katzen ziehen es vor neben mir auf der Couch zu sitzen. Weil der Pullover so wunderbar warm und kratzig ist, brauche ich keine Heizung. Ich weiß nicht wann mir ein Kleidungsstück so viel Wohlbefinden beschert hat. Ich hoffe er wird lange mein neuer Begleiter. Ich fantasiere uns schon auf langen Bergtouren, nachdem ich ausgesetzt der frischen Luft und des harten Winds auf dem Grat, zum Einbruch der Dämmerung endlich an der Hütte ankomme, den Pullover aus dem Rucksack ziehe und mich in das kratzige Wärmegefühl verliere. Oder wie wir an Frühsommerabenden, die dazu neigen noch schnell kalt zu werden, wenn das Licht erst mal über den Horizont gekippt ist, auf Wiesen sitzen und der Korpus meiner Gitarre gegen die Brust drückt.

Du kannst die teuerste Kleidung kaufen, für zu viel Geld, sie wird sich nie so anfühlen wie etwas was nur für dich hergestellt wurde. Danke Steffi, für dieses essentielle Teil meiner Garderobe.

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Fehlstellen im Kalender

Da ist es fast ein Jahr her seit ich das letzte Mal etwas geschrieben habe und irgendwie ist das Jahr ja auch eine einzige große Lehrstelle. Unser aller Leben haben sich verändert seit dem 13. März 2020. Ich hatte verdammt viel vor, ja fast zu viel. Und dann kam dieses Virus.

Der Plan:

Es waren 3 Festivals geplant, zwei große Wandertouren, Dutzende Konzerte und ein Interrail-Trip durch Osteuropa. Ich war für einen Ultra und einen Marathon gemeldet. Und am Ende des Jahres wollten wir wieder unseren Winterurlaub auf dem Congress verbringen. Passiert ist davon nichts. Das klingt schlimmer als es tatsächlich ist.

Die Umsetzung:

Statt auf Festivals zu gehen habe ich meinen Garten neu angelegt und eine Terrasse gebaut. Stand große Wandertouren waren es viele kleine Wanderungen hier in der Gegend und tatsächlich war ich dann noch eine Woche in meinem geliebten Steinernen Meer und habe dort den Hochkönig überschritten. Auf Konzerten war ich im ganzen Jahr auf dreien. Im Februar bei ein paar local Bands hier in einem Kellerclub. Die Erinnerungen an den Abend verblassen im Rausch, dem wahrscheinlich letzten Rausch seit einem Jahr. Zum Abschluss, bevor die Lage ernst wurde sah ich noch Sun Worship in Nürnberg. Zu diesem Zeitpunkt beherrschte Corona schon die Medien und eigentlich war jedem klar, dass da etwas auf uns zukommt. Was es war konnten wir alle noch rein gar nicht abschätzen. Aber ich erinnere mich, dass ich mich an dem Abend schon komisch fühlte unter so vielen Menschen in einem geschlossenen, schwitzigen, heißen engen Raum zu sein und mit geschloßenen Augen in der Musik zu versinken. Im Hochsommer als teilweise einstellige Infektionszahlen waren war ich in Thüringen auf einem Neofolk OpenAir. Ein bisschen wie Metadon im Vergleich zu meinen Planen das Voidfest und das House of the Holy zu besuchen. Aus dem Interrail wurde eine Zugreise nach Venedig. Die wunderschön und besonders war. Weil eigentlich keiner von uns mehr damit gerechnet hat dieses Jahr noch einen richtigen Urlaub zu machen. Plötzlich war es etwas besonderes meine Füsse in den Strand der Adria zu vergraben und einfach mal eine andere Luft zu atmen. Anscheinend hat das Jahr auch gezeigt, dass das was wir mal als gewöhnlich und fad empfunden haben auch besonders sein kann, wenn es wieder rar wird. Wettkampf bin ich keinen einzigen gelaufen und es fehlt mir weniger als ich dachte. Ich bin kaum lange gelaufen, aber viel. Ich habe 2020 die meisten Läufe und auch die meisten Kilometer in einem Jahr seit ich laufe. Zu guter Letzt der Congress. Wir waren zwar nicht in Leipzig, aber auf dem Congress waren wir trotzdem. Der fand zwar nicht statt, aber irgendwie wie doch. Statt dem 37c3 luden uns der Chaos Computer Club ein eine Remote Chaos Experience, kurz rc3, zu erleben.

Für mich endete das Jahr versöhnlich. Das ganze Jahr war für mich versöhnlich. Ja ich habe mich so sehr über andere Menschen geärgert wie noch nie zuvor. Aber ich hatte tolle Abende mit Freunden und meiner Familie in meinem Garten. Ich hatte tolle Urlaube, die ohne Probleme und Überschreitung von Coronaregeln funktioniert haben. Ich habe mir so viele positive Dinge angewöhnt, dass ich mit meinem Leben so zufrieden bin wie niemals zuvor. Ich war kreativ wie niemals vorher und habe so viele Bücher, Zeitungen und Magazine gelesen. Ich habe Musik aufgenommen, die aus meinem innersten kam und ich habe andere Menschen damit berührt.

Andererseits bin ich mir bewusst, dass für viele Menschen dieses Jahr das härteste war, das man sich vorstellen kann und auch 2021 nicht so rosig anfängt. Ich bin mir bewusst, dass ich durch meine sichere Arbeit, das umfangreiche Homeoffice und den eigenen Garten privilegiert bin. Nach all den Jahren in denen ich unsicher war ob meine Lebensentscheidungen sich niederzulassen, Schulden aufzunehmen und mich dadurch für Jahre an Arbeit und einen Wohnort zu binden. Lange hab ich es fast täglich bereut mich so sehr commited zu haben. Nie hat es sich mehr ausgezahlt als in diesem Jahr. Auch dadurch ruhe ich in mir selbst. Es tut gut zu wissen, dass man im Leben nicht immer falsch abgebogen ist.

Die Rückkehr der Kassette

Als ich 13 war, war der Walkman eigentlich schon ein alter Hut. Allerdings hatte ich für mich gerade erst die Magie der Musik für mich entdeckt. Nach und nach strömte Punkrock in mein Leben. Zuhause lief zwar die CD, aber auf dem Weg in die Schule war stets dieses eine Millencolin-Tape dabei. Beim Skaten war die ‚Fresh Fruits for Rotting Vegetables‘ von den Dead Kennedys einer meiner liebsten Soundtracks. Später kamen Slayer und Blind Guardian dazu. Keine dieser Kassetten war gekauft, die waren freilich alle überspielt von der CD. So kam es nun, dass ich die letzten Jahre immer weiter in den Underground des Black Metals und seiner Nachbarn abgetaucht bin. Dort geht es nicht darum möglichst viele Alben zu verkaufen oder berühmt zu werden sondern um den künstlerischen Ausdruck. Da wird unheimlich viel Zeit und Kreativität in die Gestaltung von physischen Releases gesteckt. So kamen im letzten Jahr immer mehr Platten in meine Sammlung und auf den Plattenspieler von denen es nur wenige hundert gibt. Aber immer wieder stolperte ich bei Bandcamp über Veröffentlichungen die weder auf CD (die ich eh nicht kaufen würde weil sie seelenlos ist) oder Schalplatte erscheinen, sondern als Musikkasette.

Was ist den bitte kauziger, als eine handbeschriftete Kasette in einem Jewel Case. Mit Schuber, Booklet und dem ein oder anderen Gimmick. Und das auch noch für kleines Geld und mit wenig Versankosten. Das knacken der Nadel auf dem Vinyl wird ersetzt durch das statische Rauschen auf dem Magnetband. Ja es ist total widersinnig ein eigentlich totes Medium wieder zu erwecken. Aber eigentlich auch nicht. Denn nie war es einfach Musik an den Mensch zu bringen. Gerade bei Black Metal braucht man kein großes Publikum, sondern nur einige wenige, die verstehen was man da gerade sagt. So kam es, dass ich seit einer Woche wieder einen Walkman besitze. In der Post lagen jetzt auch schon drei Tapes. Noch eins aus Australien ist unterwegs. Insgesamt haben mich die Tapes so viel gekostet wie eine einzige Schallplatte. Da kann man auch mal wieder blind nach Cover kaufen. So wie ich das früher gemacht habe und nicht wenige Bands die mich geprägt haben so entdeckt habe.

Jetzt kann man sich fragen, warum ich dafür überhaupt Geld ausgebe, weil ich doch ohne Zusatzkosten alle Musik dieser Welt auf Spotify oder YouTube hören könnte. Für mich ist es ein Unterschied ob ich Musik höre oder ob ich Musik besitze und sie für mich abspiele. Es geht um Wertschätzung. Gerade kleine Bands und Musiker werden und wollen nicht von ihrer Musik lesen, aber ich finde sie sollten Wertschätzung erlangen, dadurch dass man ihre physischen Releases kauft, besitzt und hört. Vielleicht komme ich jetzt auch in dieses Alter in dem man nostalgisch wird. Meine selbstüberspielte Millencolin MC war mir als Jugendlicher mehr wert als die meisten CDs die ich am Ende meiner Teenie-Zeit besass. Und wenn ich Abends nun vor meinem paar hundert Schallplatten stehe oder eine Kassette in meinem Walkman stecke, dann durchströmt mich ein warmes Gefühl der Glückseligkeit. Das ist meine Musik, jede Veröffentlichung habe ich bewusst und gut überlegt ausgewählt, weil sie nicht nur Geld kostet, sondern auch Platz in meinem Regal wegnimmt.

Da ich in den 90ern groß wurde, sind Schallplatten eher weniger präsent gewesen. Das Jahrzehnt des Plastik hat mich voll erfasst, aber meine ersten Alben waren MCs. Schallplatten hör und sammle ich nun seit 15 Jahren. Aber Kassetten sind seit 25 Jahren ein Teil meiner Hörgewohnheiten. Zeit diesem Medium wieder mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Zeit die seltensten und kauzigsten Releases zu jagen, auf Flomärkten zu wühlen und die Untiefen des Internets zu durchwühlen. KAUFT MEHR TAPES!

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Großer Reibn – Stahlhaus, Wasseralm- Teil 2

TAG 1 – Ramsau bis Carl-Von-Stahl-Haus

Nach einer etwas unruhigen Nacht im Zelt sollte unser Abenteuer schließlich und endlich starten. Wir fuhren vom Zeltplatz, den wir in der Nacht noch suchen mussten, zur Wimbachbrücke in Ramsau. Hier sollte uns in fünf Tagen der Wanderweg wieder ausspucken. So wanderten wir zunächst eine Art Prolog über flache, breite Waldwege, die uns die Möglichkeit gaben unsere Wanderstiefel noch mal neu zu schnüren und die Rucksäcke zu richten. Der weg führte uns zunächst ganz unspektakulär am Fuße des Grünsteins zum Königssee hinunter, wo wir zwischen viele Touristen mit unseren großen Rucksäcken und alpinen Wanderstiefeln doch irgendwie deplatziert wirkten.

Bootshäuser am Ufer des Königssees

In einem der vielen Touristen-Shops habe ich noch schnell eine Wanderkarte erworben, die einerseits praktisch ist und anderseits immer ein schönes Souvenir einer solchen Reise. Ganz nach Hobbit-Manier nahmen wir am Ufer ein zweites Frühstück bestehend aus Butterbreze und Cola ein und machten uns dann an den Aufstieg über den Malerwinkel, der uns nochmal einen schönen Ausblick von unten auf den Königssee und das darüber liegende Steinerne Meer gewährte. Nachdem wir die Talstation der Jennerbahn hinter uns gelassen hatten, wurden es auch immer weniger Menschen an denen wir trotz unserer Rucksäcke vorbeizogen. Der Weg blieb unspektakulär und führte mit moderater Steigung durch den Wald, so waren wir schnell in ein Gespräch vertieft. Erst als wir die Baumgrenze überschritten hatten und die Königsbachalm in Sicht kam wurde uns bewusst wie schnell doch der Morgen vergangen war und wir bereits über zehn Kilometer hinter uns gelassen hatten. Also kehrten wir kurz auf ein kühlendes Bier auf der Alm ein und setzten die Rucksäcke ab. Nun im Rückblick ist es wirklich beeindruckend, wie sehr der Rucksack und die Schuhe an den ersten Tagen drückten, schwer waren und sich falsch anfühlten, doch am Ende fühlte es sich fast falsch an ohne das Gewicht auf dem Rücken und dem engen Stiefel unterwegs zu sein. 20190805_123401.jpg

Nach einer weiteren Stunde nun steilerem Aufstiegs ließen wir den Jenner an uns vorbei ziehen und der Schneibstein kam in Sicht. Auf dem Joch zwischen Hohem Brett und Schneibstein liegt das Carl-Von-Stahl Haus, welches unser erstes Nachtlager sein sollte. Während wir auf der Sonnenterasse saßen und unsere Nasen in Bücher steckten oder die Bergwelten bewunderten, trudelten immer mehr Menschen mit großen Rucksäcken ein. Mit vielen sollten wir die nächsten Abende und Tage verbringen.

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Um 18 Uhr wurde auf der Hütte zum Abendessen gerufen. Stetes Treiben kam auf und schließlich war jeder Sitzplatz in der Gaststube von Wanderern besetzt. Schnell kamen Gespräche auf und man stieß mit Bier auf den Tag an. Mir persönlich war es zu voll und ich hatte keine Lust mich mit Fremden zu unterhalten. Deshalb schnappte ich mir nachdem ich das üppige Abendessen einverleibt hatte mein Skizzenbuch und den Aquarellkasten und verzog mich nach draußen auf die Terrasse. Inzwischen hatte der Wind ziemlich aufgefrischt und man konnte den Wettersturz der angekündigt war förmlich spüren. Mit Einbruch der Dunkelheit kehrte auch langsam Ruhe ein auf dem Stahlhaus. Durch die kurze vorangegangene Nacht rollte ich mich schon vor 10 in meinen Hüttenschlafsack und ließ mich vom Wind der um die Hütte rauschte in den Schlaf wiegen.

TAG 2 – Stahlhaus bis Wasseralm

Gegen 5 Uhr wurde das ganze Matratzenlager von einem markerschütternden Donnergrollen geweckt. Draußen tobte ein alpines Gewitter und mir wurde dabei ziemlich mulmig. Gleich am Morgen sollte uns nämlich unser Weg über den Gipfel des Schneibstein führen. Da es erst in einer Stunde Frühstück gab drehte ich mich noch mal um und döste zum Sturm vor mich hin, fand aber keinen Schlaf mehr. Daher schlich ich mich bald aus dem Bett und schlüpfte in meine Wanderhose, nahm mit eine Decke und ging nach draußen. Der Regen hatte aufgehört es blies jedoch noch ein starker Talseitiger Wind. Ich suchte mir ein windgeschütztes Fleckchen, warf mir die Decke über und begann mit meiner morgendlichen Meditation, die so unfassbar tief war in diesem alpinen Umfeld. Für mich begann damit eine Zeit der Einkehr. Meine Gedanken und Sorgen aus dem Alltag fielen immer mehr von mir ab. Beruf, Verpflichtungen und Pläne rückten in den Hintergrund und ich war bei mir. Seit langem mal wieder das Gefühl in mir selbst zu ruhen. Irgendwann sammelte mich Benjamin dort draußen ein und fragte ob ich mit Frühstücken komme. Mit wenig Hunger zwang ich mir zwei Käsebrote rein und wollte dann schnell los. Das Wetter wurde wieder schlechter und ich wusste, dass heute noch einiges vor uns lag. Wir räumten zügig das Lager und packten die Rucksäcke. Als ich vor die Tür trat knallte mir kalter Wind und Regen ins Gesicht. Halstuch, Jacke und Rucksack-Cover waren angesagt.

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Nach dem ersten Kilometern drehte ich mich um und war noch mal beeindruckt von der Lage und Rauheit des Stahlhauses. Es war ein perfekter Auftakt und der erste hochalpine Tag begrüßte uns mit dem schlechtesten Wetter der gesamten Reise. Die Wege wechselten von breiten Wanderwegen zunächst auf Pfade und schließlich zu alpinen Steigen. Der Stein war glitschig und der Wind zerrte ständig an der Kapuze meiner Regenjacke. Immer wieder wanderte mein Blick an die Felswand vor uns, durch die wir gleich  durchsteigen mussten. Meine Trittsicherheit ließ zu wünschen übrig, deshalb wurde ich immer langsamer. Jeder Schritt wollte mit bedacht gesetzt werden und ich nahm meine Hände öfter zu Hilfe als mir lieb war, dadurch wurden meine Hände eiskalt und meine Laune auch nicht besser. Der Königssee und der Watzmann lagen in einer Nebelsuppe und meine Orientierung litt darunter. Es war wirklich kalt. Nach fast einer Stunde erreichten wir den Grat, der endgültig jeden Schutz vor Wind unmöglich war, aber wenigsten breit genug um normales Gehtempo zu machen. Nach weiteren 30 Minuten erschienen vor uns die Gipfekreuze.

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Ein paar Dohlen saßen am Boden und schrien. Das apokalyptische Bild war komplett als der Wind noch stärker wurde. Wir hatten keine Aussicht und auch keinen Grund länger zu bleiben. Benjamin bot mir einen Schluck heißen Tee aus seiner Flasche an, der ein Wohltat war, dann machten wir uns an den Abstieg in Richtung Windscharte. Der Name kreißte mir durch den Kopf während ich von der Nässe fror. Ich beschloss meine Handschuhe anzuziehen. Wir hatten die vergangenen zwei Stunden schweigend verbracht. Ich war mit mir beschäftigt. Um uns veränderte sich die Landschaft zusehend. Das alpine und raue Schroffengelände wand sich um die Anhebungen des Hagengebirges. Alles fühlte sich außerordentlich einsam an. Die Windscharte stellte sich erfreulicher Weise als sehr windstill dar. Es folgte ein anspruchsvoller Abstieg in ein ausgewaschenes Gletscherkarst. In der Ferne war der Seeleinsee zu sehen, der die Mitte der Strecke darstellte. Nachdem wir für einige hundert Meter an Wasserrinnen und Platten abklettern musste, folgten wir wieder einem Pfad, der sich durch das Tal schlängelte. Die Kreuze der umliegenden Gipfel wirkten surreal nah. Am See angekommen suchten wir uns einen flachen Fels, der unser Mittagstisch sein sollte und labten uns an Brot und Räuchertofu. In der Einfachheit und der Abgeschiedenheit genoss ich dieses schlichte Essen, das ich mit meinem Rucksack auf den Berg gebracht habe jeden Tag mehr. Umso älter das Brot wurde, desto besser schmeckte es mir.

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Nach der Rast folgte direkt ein weiterer Anstieg hinaus auf einen Pass. Von dort öffnete sich das Tal in Richtung des Obersee des Königsee und der Regen hatte auch aufgehört. Das erste Mal an diesem Tag wechselte der Spaß von Kategorie B in Kategorie A. Es kam ein Gespräch auf. Wir lachten und quasselten. Langsam kehrte Flora und Fauna zurück. Neben uns erschien ein Bach und wir passierten verfallene Almen. Wir durchwanderten einen magischen Wald, der zu hoch war, dass Tagestouristen dort hinkamen. Orte die man nur findet wenn man weitwandert. Als der Wald sich öffnete konnten wir auf den Königssee blicken und dahinter lag die mächtig Ostwand des Watzmann. Aus dieser Perspektive habe ich sie noch nie gesehen. Der ganze Berg hat mich während der fünf Tage immer wieder an sich gefesselt und fasziniert, obwohl ich ihn schon überschritten hatte. Ich versuchte die Aussicht so viel wie möglich zu genießen, doch das Gelände wurde zunehmend anspruchsvoller und auch ausgesetzt. Immer wieder mussten wir Felsstürze überwinden, die den eigentlichen Weg abgerissen hatten. Mir ist dabei immer etwas unwohl und ich überquere solche Geröllfelder am liebsten zügig. Es folgte eine Passage mit ordentlichem Anstieg und Steigen die Kraft raubten. Die Uhr zeigte schon lange die eigentlich geplante Tagesdistanz.

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Fast 600 vertikale Meter mussten wir noch überwinden. In meinem Kopf hat ich das Höhenprofil anders in Erinnerung. Das und die Höhe des Weges haben mich ganz schön an meine Grenze gebracht. Nicht die Belastung, sondern mein Kopf. Ich hatte den Höhemesser meiner Uhr im Auge und ich wusste, dass die Wasseralm auf 1700 Metern liegt und war froh als die Höhe angezeigt war. Der Weg bewegte sich nun auch endlich weg vom Abhang und der Blick führte nicht überall in die gähnende Tief. Ich habe wohl in den letzten Jahren etwas Respekt vor Höhe bekommen, wenn ich nicht im Seil hänge. Doch nun schlängelte sich der Weg durch hohe Farne. Der Wasserfall rauschte weit entfernt. Fast prähistorisch wirkte die Natur. Unberührt und wild. Ich fantasierte, dass wir wohl für immer diesen Pfad laufen werden und niemals die Lichtung in der die Wasseralm liegt erreichen werden, doch dann wurde das Dickicht durchlässiger, man hörte Menschen und da lag sie vor uns. Ein zurückgezogener Ort ohne Strom und Handyempfang. Das Trinkwasser kommt aus der Quelle und die Wiesen werden nicht gemäht. Die Wasseralm besteht aus drei Holzhütten, dazwischen stehen Bänke. 40 Menschen können hier schlafen, an diesem Abend sind alle Betten belegt gewesen. Nachdem wir unser Nachtlager bezogen haben setzten wir uns an den Fluss und aalten uns in der Sonne, die sich nun endlich zeigte. Das Gefühl der Heimlichkeit wurde nur noch größer als eine der Hüttenwirtinnen und persönlich zum Abendessen holte. Der vergane Gemüseeintopf schmeckte nach dem langen Tag umso besser, dass ich mir sogar noch eine zweiten Teller holte.

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Viel schneller wurde es hier im Talkessel zwischen Hagengebirge und Funtenseetauern dunkel. Wir beendeten den Tag mit einem Enzian, wie er hier auf der Hütte noch gebrannt wird. Ich legte mich ins Bett und las mit Stirnlampe noch etwas. Am nächsten Morgen erzählte man mir, dass noch Hirsche zum äsen auf die Lichtung kamen. So viel Magie an einem Ort hätte ich nicht erwartet.

Route

Unser Plan war es das Gebirge rings um den Königsee einmal gegen den Uhrzeigersinn zu durchwandern. Dabei wir das Gelände von Etappe zu Etappe anspruchsvoller von einfachem Wanderweg bis zu leichter, ausgesetzter Kletterei in niedrigem Grad. Die Etappen teilten wir wie folgt ein:

Tag 1 – Ramsau über den Malerwinkel zum Carl-von-Stahl-Haus (16 km 1000hm)

Tag 2 – Stahlhaus zur Wasseralm (12km 1100hm)

Tag 3 – Wasseralm zum Kärlingerhaus am Funtensee (8km 800hm)

Tag 4 – Kärlingerhaus über Riemannhaus zur Ingolstädter Hütte (12 km 1100hm)

Tag 5 – Ingolstädter Hütte über Wimbachgries nach Ramsau (14 km 400hm)

Im vorherigen Post habe ich schon über die Vorbereitung geschrieben.

Großer Reibn – 5-Tages-Tour durchs Steinerne Meer – Teil 1

20190808_094502.jpgBenjamin und ich sind schon seit vielen Jahren enge Freunde. Früher spielten wir sogar zusammen in einer Band. Wir haben im gleichen Jahr angefangen zu studieren und wir mögen viele gleiche Dinge. Eins dieser Dinge ist die Natur. Ein anderes sind die Berge. Früher sind wir zusammen auf Metalfestivals gefahren und wenn es um die Frage geht mit wem ich mein Zelt teile, dann war die Antwort klar. Ich kenne wenige Menschen mit denen ich so gerne Zeit verbringe wie mit ihm. Nur gemeinsamen Urlaub haben wir noch nie gemacht. Das wollten wir diesen Sommer schleunigst ändern und ich hatte da auch schon eine konkrete Idee. Mir schwebte schon seit mehreren Jahren die Idee vor den Berchtesgadener Nationalpark einmal zu Fuß zu druchqueren. Benjamin, der noch nie eine mehrtägige Hüttentour durchs Gebirge gemacht hat, war leicht zu begeistern. Um Pfingsten war die Entscheidung also gefallen und ich machte mich an die Routenplanung und kümmerte mich um die Hüttenreservierung.

Vorbereitung

In den Sommermonaten einen Hüttenplatz zur reservieren ist gar nicht so ohne. Eine Reservierung empfiehlt sich inzwischen jedoch leider, wegen des großen Andrangs. Dies ist zwar einerseits ziemlich lästig, führt jedoch auch dazu, dass die Auslastung der Wanderwege kontingetiert wird. Trotz der knappen Vorlaufzeit von nur 6 Wochen konnte ich noch auf drei der vier geplanten Hütten zwei Plätze im Lager ergattern. Mit dem Wissen, dass alle Hütten vom Deutschen Alpenverein betrieben werden, war ich dann auch entspannt wegen der einen Übernachtung, die nicht reserviert werden konnte. Alpenvereinshütten dürfen nur 90% ihrer Schlafplätze vorab vergeben. Ein Zehnprozentkontingent müssen sie für AV-Mitglieder frei halten und selbst wenn die voll sind bekommt man immer einen Schlafplatz im Notlager. Das ist meistens die Gaststube oder ein Dachboden. Nachdem ich die Zugverbindungen gecheckt hatte, musste ich mir leider eingestehen, dass eine klimaneutrale Anreise nicht klappen wird. Die Zugverbindung nach Berchtesgaden ist ziemlicher Mist und führt notgedrungen zu einer Reisezeit von 7 Stunden, die uns einen kompletten Tag Wanderung zerschossen hätte. So mussten wir wohl oder übel das Auto nutzen.

Verpflegung

Abendessen und Frühstück nahmen wir jeweils auf den Hütten zu uns. Da wir uns gerne die vier bis fünf Euro für Lunchpakete am Tag sparen wollten, zumal wir beide Vegetarier sind und deshalb nicht immer sicher war, dass wir dann auch etwas fleischloses bekommen, hatten wir uns unser Reiseproviant fürs Mittagessen auf den Rücken geschnallt. Wir hatten für zwei Mann dabei:

15 Müsli-Riegel, 6 Äpfel, 500 gr Gewürzbrot, 2 Räuchertofu, 2 Seitan-Würste „Salami“, 2x 200g Nussmix, 4 Karotten und Behälter für insgesammt 4 Liter Wasser (eins davon mit Lifestraw-System)

Ausrüstung

Da unbeständiges Wetter diesen Sommer vorherrscht habe ich etwas mehr dabei als ich normalerweise mitnehmen würde, daher musste ich von 25 Liter auf 45 Liter umschwenken, was aber dem Essenstransport und der schnellen Erreichbarkeit zu gute kam.

Zip-Off Treckinghose, 3 Shirts, Kappe, Mütze, Handschuhe, Halstuch, 1 Kaputzenpullover, 2 Paar Wandersocken, 1 Paar Wollsocken, Wanderstiefel, Sandalen, Downjacket, Regenjacke, Waschbeutel, Microfaserhandtuch, Stirnlampe, Ohropacks, Buch, Hüttenschlafsack, Biwaksack, Erste-Hilfe-Set, Aquarellkasten und Skizzenbuch.

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Parken

Parkplätze im Berchtesgadener Land sind zwar reich gesäht, allerdings gibt es wenige an denen man 5 Tage stehen bleiben darf. Ein Parkplatz, der diese Möglichkeit bietet ist an der Wimbachbrücke, dem eigentlichen Ende der Route. Mit dem Gedanken, dass wir wenn wir nach den knapp 70 km keine große Lust mehr haben noch einen logistischen Aufwand zu betreiben um wieder ans Auto zu kommen, beschloßen wir kurzerhand einen Prolog von 6 km an den ersten Tag zu hängen und von Ramsau, wo die Wimbachbrücke ist zu wandern und somit am Ende direkt an unserem Auto herauszukommen. Das Parken kostete über die Parkster-App, die im ganzen Berchtesgadener Land funktionert gerade mal 24 Euro für 5 Tage.

Route

Unser Plan war es das Gebirge rings um den Königsee einmal gegen den Uhrzeigersinn zu durchwandern. Dabei wir das Gelände von Etappe zu Etappe anspruchsvoller von einfachem Wanderweg bis zu leichter, ausgesetzter Kletterei in niedrigem Grad. Die Etappen teilten wir wie folgt ein:

Tag 1 – Ramsau über den Malerwinkel zum Carl-von-Stahl-Haus (16 km 1000hm)

Tag 2 – Stahlhaus zur Wasseralm (12km 1100hm)

Tag 3 – Wasseralm zum Kärlingerhaus am Funtensee (8km 800hm)

Tag 4 – Kärlingerhaus über Riemannhaus zur Ingolstädter Hütte (12 km 1100hm)

Tag 5 – Ingolstädter Hütte über Wimbachgries nach Ramsau (14 km 400hm)

In den nächsten Wochen werd ich mich den einzelnen Etappen noch genauer widmen. Schaut einfach wieder rein. Kurze Zusammenfassungen findet ihr derweil auch schon auf meinem Instagram.

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IM TUNNEL

Es ist 8:21 Uhr, Sonntagmorgen, ich stehe in einer Menschenmenge. Meine Laufuhr zeigt einen Ruhepuls von 83 Schlägen pro Minute an. Das ist viel im Vergleich zu meinen 50 Schlägen die ich sonst habe wenn ich still irgendwo stehe und nichts tue. Ich bin wohl etwas aufgeregt. Aus den Lautsprechern die man hier extra aufgestellt hat dröhnt Musik, die ich nicht mag. Ich krame meine Kopfhörer aus der Hosentasche. In den letzten Wochen und Monaten hat sich ein Lied in meinem Kopf gebrannt, das ich immer wieder hörte während der vielen Laufkilometer die ich in den letzten drei Monate absolviert habe. Ich drehe mich um und sage zu meinen Begleiterinnen „Ich muss mich jetzt einlaufen!“. Meine Kopfhörer springen an und ich höre den Rhythmus der mir so vertraut ist.

WILD BOYS
WILD BOYS
WILD BOYS

Ich laufe die ersten Schritte des Tages. Weg von der Startlinie. In die andere Richtung. Mir gehen meine Haben-Seite durch den Kopf, die ich mir erarbeitet habe. In meinen Beinen stecken 987 Kilometer. Das heißt ich werde heute im Laufe dieses Vormittags die Marke von Eintausend überschreiten. Das gibt mir Selbstvertrauen. Viele Einheiten waren schnell. Einige an meiner Schwelle. Ich bin zwei mal weiter als zur Marathonmarke gelaufen und das nicht sonderlich langsam. Es ist Zeit an den Start zu gehen. Zwei Umarmungen und die Kopfhörer wieder in der Hosentasche verschwinden lassen. Der Song war noch nicht zu Ende. Wenn ich es brauche kann ich einfach nur auf den Knopfdrücken und wieder einsteigen. Mir mein Gefühl wieder holen.

THE WILD BOYS ARE CALLING

ON THEIR WAY BACK FROM THE FIRE

Der Puls ist noch weiter angestiegen. Die Menschen drängen in Richtung des Startbogens, doch halten Abstand zur Startlinie. Außer den Profis tritt keiner weiter nach vorne. 1 Minuten bis zu Start. Ich trete nach vorne. Meinen Zustand könnte man als austrainiert bezeichnen. Würde ich das Rennen konservativ angehen wäre der Finish sicher.  Ich reihe mich direkt hinter den Profis ein. Gertenschlanke Männer und Frauen in sehr knappen Klamotten. Kein Gramm Fett am Körper. Ich schaue sie mir aus der Nähe an. Ich stehe in den vorderen 10 Prozent des Starterfelds. Es manifestiert sich der Entschluss nicht konservativ zu laufen. Der Startschuss fällt. Ich starte meine Uhr. Ich bin im Tunnel.

IN AUGUST MOON´S SURRENDER TO

A DUST CLOUD ON THE RISE

WILD BOYS FALLEN FAR FROM GLORY

Die ersten Kilometer vergehen so schnell. Ich bin zu schnell. Ich laufe ein Tempo das sehr sicher zu einem Ausfall führen wird. Ich laufe im Tempo des Erstplatzierten mit. Bei einem Blick auf meine Uhr sagt diese, ich würde für das Zurücklegen eines Kilometers aktuell 3 Minuten und 42 Sekunden brauchen. Das ist zu schnell. Ich kann mich nicht bremsen. Mein Puls ist inzwischen dort wo er beim Laufen sein sollte, aber nicht so hoch wie ich es erwartet habe. Nach 3 Kilometern beginnt die erste von zwei großen Steigungen durch einen Wald. Das weiß ich. Ich beschließe mich von ihr bremsen zu lassen. Es ist jetzt schon warm. Ich schwitze und versuche den Flüssigkeitshaushalt jetzt schon unter Kontrolle zu halten und beginne zu trinken. Ich knalle in den ersten Anstieg über knapp 200 vertikale Meter. Zunächst bremst es meinen Schritt kaum. Immer noch nur knapp über vier Minuten auf den Kilometer. Dann wird es steiler und es trifft mich wie eine Wand ins Gesicht. Ich lasse mich bremsen. Stark sogar. Es folgt ein Aufstieg, der mich körperlich und psychisch fordert. Nein, ich erklimme keinen Berg. Das ist ein Hügel. Aber in meinem Kopf ist es ein Gebirge. Ich beginne zu verhandeln welche Zeit ich für mich als Zielzeit akzeptieren könnte und was eine Enttäuschung wäre. Ich werde überholt. Ich verliere den Anschluss an die Führungsgruppe. Damit war zu rechnen. Es ärgert mich mehr als es sollte. Der Anstieg ist beendet und kippt in einen langen Downhill. Ich presse meine Beine in den Asphalt. Ich werde schneller spüre wieder Luftzug im Gesicht. Im Kopf rechne ich was für einen Schnitt ich laufen müsste um die verlorene Zeit am Berg wieder auszugleichen und Laufe 10 Sekunden schneller als notwendig. Ich beschließe das es jetzt nach knapp 10 Kilometern Zeit wird mich von der Musik tragen zu lassen. Die Kopfhörer geholt. In die Ohren gesteckt.

RECKLESS AND SO HUNGERED

ON THE RAZORS EDGE YOU TRAIL

BECAUSE THERE´S MURDER BY THE ROADSIDE

IN A SORE AFRAID NEW WORLD

Plötzlich zwei lachende Gesichter die ich jetzt noch gar nicht erwartet habe, die Rufen, die Jubeln, die sich freuen. Mein Herz macht einen Sprung. Ich fliege förmlich um die letzte Kurve des Abstiegs. Es folgt eine lange flache Passage. Ein anderer Läufer mit dem ich Tempo halte läuft neben mir. Ich nehme seine Schrittfrequenz an. Versinke in meiner Musik. ich bestehe kurze Zeit nur noch aus Atmen und Schritten. Es ziehen mehrere Dörfer an mir vorbei. Menschen die jubeln. Feuerwehrleute die die Straße für die Läufer sperren. Ich laufe weiterhin 10 Sekunden schneller auf den Kilometer als ich müsste um in meiner Wunschzeit ins Ziel zu kommen. Doch ich weiß auch, dass noch zwei Anstiege vor mir liegen, die zwar kürzer, aber dafür steiler sind. Ich muss mir einen Puffer erarbeiten, denn ich werde gehen. Das Tal ist durchquert und der Anstieg kommt. Er zieht sich vorbei an einem Kloster, dass ich früher als Bauleiter betreut habe. Viele der alten Sandsteinquader sind meinem Freunde. Gute Bekannte aus einer alten Zeit. Ich habe inzwischen um die 1500 Kalorien verbrannt und noch keine zugeführt. Ich verbrenne Fett, aber das geht nur wenn mein Puls niedriger wird. Der befindet sich am oberen Ende der Skala. Mir geht es schlecht. Später wird mir dieser Eindruck bestätigt. Ich sah wohl auch so aus. Ich schraube mich eisern den Hügel hoch. Ich muss jetzt gehen sonst springt mir das Herz aus der Brust. Ich werde wieder überholt. Ich lasse für einen Moment alle Ambitionen ziehen. Das wird nix mehr.

THE TRIED TO BREAK US

LOOKS LIKE THEY´LL TRY AGAIN

Ich entscheide mich nun Kräfte zu sammeln. Das Gelände der nächsten fünf Kilometer ist flach. Die Aussicht ist großartig. Ich sammle nicht nur Energie. Auch meine Zuversicht kehrt zurück. Ich kann mein Ziel immer noch erreichen. Ich muss noch einen Anstieg meistern und dann liegen nur noch 20 Kilometer vor mir, die größtenteils flach sind oder bergab führen. Ich esse während ich den letzten Anstieg hinaus marschiere einen halben Riegel. Er schmeckt nicht und ich muss mich dazu zwingen zu schlucken. Kurz muss ich würgen. Ich kämpfe es nieder. Ich drehe die Runde über das Hochplateau. Ein sagenhafter Tag. Es wäre eine Verschwendung ihn nicht zu nutzen um etwas monomentales zu schaffen. Ich donnere in den Abstieg. Ich stürze zurück in meinen Tunnel. Ich laufe nur noch. Ich weiß nicht mehr wie schnell. Es ist egal. Ich gebe alles was ich habe.

WILD BOYS NEVER LOSE IT

WILD BOYS NEVER CHOOSE THIS WAY

WILD BOYS NEVER CLOSE YOUR EYES

WILD BOYS ALWAYS SHINE

Ich bin seit dem zweiten Anstieg immer in der nähe eine Gruppe gelaufen. Ich habe von der Dynamik profitiert. Ich habe mich erholt und nun konnte ich alles entfesseln. Ich breche aus der Gruppe heraus und setze mich ab. Kurz darauf erscheint vor mir eine Läuferin die von einem Mountainbike begleitet wird. Es ist die erste Frau und das Begleitrad der Veranstaltung. Ich bin schneller. Ich ziehe vorbei. Ich donnere mit leichten Schritten ins Tal. Ich trinke dabei die letzten Schlucke Wasser die ich noch dabei habe. Mein Magen verdaut schon länger nichts mehr. Ich biege um eine Kurve. Dort stehen wieder F. und meine Mama. Wie verabredet meine letzter Schub für die letzten 10 Kilometer. Ein Lächeln von einem geliebten Menschen wirkt für mich mehr als Doping. Ich lächle ihnen zu, weil ich will, dass sie wissen, dass es mir besser geht. Das ich das nach Hause bringe. Als am Straßenrand ein Schild die 32 Kilometer-Marke anzeigt überschlage ich im Kopf wie lange ich noch brauche wenn ich in dem Tempo weiterlaufe. Nun muss ich wirklich lächeln. Das wird weh tun, doch es wird sich lohnen. 5 Kilometer vor dem Ziel überholt mich die erste Frau wieder. Ich gönne es ihr. Ich bin mir sicher dass sie das für sich so geplant hatte. Mich überholt jedoch in ihrem Schatten auch ein weiterer Läufer. Er hat einen lustigen Schnauzer. Später werde ich erfahren, dass er Peter heißt und wir dieses Jahr noch einen weiteren Lauf gemeinsam bestreiten werden. Peter überholt mich, bleibt aber dann knapp vor mir. Man hört nun die Samba-Gruppe die am Ziel spielt. Noch drei Kilometer. 14 Minuten bei meinem aktuellen Tempo.

YOU GOT SIRENS FOR A WELCOME

THERE´S BLOODSTAIN FOR YOUR PAIN

AND YOUR TELEPHONE BEEN RINGING WHILE

YOU´RE DANCING IN THE RAIN

Peter ist immer noch vor mir. Ich bin müde. Meine Kraft lässt nach. Ich werde ihn nicht mehr überholen können. Im Kopf gönne ich ihm den Zieleinlauf. Peter hat offensichtlich die selben Gedanken. Als wir um die letzte Kurve biegen wird er plötzlich langsamer. Ich laufe fast in ihn hinein. Ich ziehe vorbei. Wir schauen uns lächelnd in die Augen. Wir wissen beide das wir heute gekämpft haben. Ich laufe durch den Kurpark. Um den runden Brunnen. Menschen schauen verdutzt. Ich glaube ich gebe ein lustiges Bild ab, wie ich völlig abgekämpft mit meinem langen Bart da renne. Überglücklich weil ich jetzt weiß, dass ich mich selbst übertroffen habe. Mich besiegt hab. Schmerzen und Nervosität überlaufen habe. Das ich heute einen unfassbaren Sieg einfahre. Ich denke an meine Schulzeit, als ich der kleine übergewichtige Junge war, der beim Sport immer versagt hat. Ich denke an meinen alten, ruppigen Sportlehrer, der mir sogar eine Fünf für den Cooper-Test eintragen musste. Ich wünschte er könnte mich jetzt sehen.

WILD BOYS WONDER WHERE IS GLORY

WHERE IS ALL YOU ANGELS

NOW THE FIGUREHEADS HAVE FELL

AND LOVERS WAR WITH ARROWS OVER

SECRETS THEY COULD TELL

Meine Uhr zeigt 42 Kilometer. Ich laufe durch eine Unterführung. Ich sehe den Zielbogen. Ich höre einen sehr laute mit gut vertraute Stimme. „Verdammt noch mal, zieh! Da geht noch was!!!“, sagt sie mir. Und ich mache das alles. Ich laufe so schnell es meine Beine hergeben. Biege auf die Aschebahn die die letzten 200 Meter mein Weg sein werden und mein Puls springt heute das erste Mal über 200 Schläge pro Minute. Ich laufe über die Ziellinie und die Uhr bleibt bei 03:25:56 stehen.

WILD BOYS ALWAYS SHINE!

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EPILOG:

Als ich später im Kreise meiner Familie sitze und gierig Käsespätzle esse erfahre ich, dass ich in meiner Altersklasse den 3. Platz erreicht habe. Alle am Tisch klatschen. Ich bin komplett verwirrt. Was für ein großartiger Tag!

Privilegien

[Editorial: Im Folgenden schreibt der liebe Sebi etwas über seine Gedanken, die er sich so macht über sein Leben, warum das so ist und an was es liegt. In unserer Gesellschaft ist etwas nicht mehr richtig. Warum ist das so? Die Frage stelle ich mir immer wieder. Und dann stelle ich mir oft die Frage: Was kann ich dagegen tun?

Ja, in unserer Gesellschaft ist etwas nicht mehr richtig. Das spüren wir alle. Bei Manchen entwickelt sich daraus Wut und Hass. Andere verzweifeln daran und zerbrechen. Manche beschließen etwas zu ändern und tun etwas dagegen. So habe ich entschieden, dass ich nicht nur noch für mich versuche meinen Kosmos, mein Umfeld besser zu machen, sondern auch für andere einzustehen. Ich habe beschlossen politisch wieder aktiv zu werden. Ich bin einer Partei beigetreten und organisiere mich nun. Welche und warum hat hier aktuell noch nichts verloren. Doch bevor ich das Wort an meinen geschätzten Gastautor übergebe möchte ich kurz mit Kettcar einstimmen. ]

VON DEN VERBITTERTEN IDIOTEN NICHT VERBITTERN LASSEN

Ein Gastbeitrag von Fleggo

Es geht mir gut. Verdammt gut sogar. Das muss ich mir immer wieder bewusst machen, denn viele Privilegien, die ich genieße habe ich einfach. Ich habe sie nicht vor Augen, da sie für mich einfach normal sind. Ab und zu bekomme ich sie dann aber vor Augen geführt und in letzter Zeit wurde mir erst so richtig klar, dass es wahrscheinlich nicht viele Menschen gibt, die es von den Voraussetzungen her leichter haben als ich. Warum? Ganz einfach.

Ich bin weiß. Leider immer noch ein Privileg. Ich bin Europäer.

Leider immer noch ein Privileg. Eins, für das viele tausend Menschen jährlich sterben. Wortwörtlich. Weil sie hier her kommen wollen. Nein. Weil sie nicht da bleiben können, wo sie leben wollen.

Ich bin männlich. „Gender-Pay-Gap“, „#219a“. Leider immer noch ein Privileg.

Ich bin eine Kartoffel. In Deutschland geboren zu sein ist sogar innerhalb Europas noch ein Privileg. Leider.

Das ist aber auch nur das Offensichtlichste. Das, worüber diskutiert wird, was sich momentan, zumindest in Teilen, wandelt. Es geht aber noch viel weiter:

Ich bin gesund. Leider ein viel zu oft unterschätztes Privileg.

Ich habe eine tolle, ebenfalls gesunde Familie!

Ich bin erwachsen. Ja, auch das ist ein Privileg. Siehe #FridaysForFuture, wo tausende SchülerInnen einfach nicht ernst genommen werden.

Ich kann im Großen und Ganzen tun und lassen was ich will. Dinge, in denen ich mich einschränke, schränke ich mich freiwillig ein. Ein unfassbares Privileg.

Und für all das kann ich (fast) nichts.

Ich finde es ist enorm wichtig, sich das immer wieder selbst bewusst zu machen. Denn gerade wenn es einem so gut geht verliert man das aus den Augen und erachtet es als normal, vielleicht sogar als „verdient“. Doch das ist nicht so. Das meiste ist einfach nur pures Glück. Und oftmals erkennt man das gar nicht. Ab und an wird man aber damit konfrontiert. Das zu erkennen, zu reflektieren und vielleicht das eigene Verhalten dem etwas anzupassen kann dazu führen, dass alle etwas von den eigenen Privilegien haben.

Hier noch ein paar der Dinge, die mir in letzter Zeit gewaltig vor Augen geführt haben, wie gut es mir selbst eigentlich geht:

100$ Race

Broilers – Ich will nicht hier sein

„HalbeKatoffl“-Podcast

Oder einfach Menschen, die keine „Bio-Kartoffeln“ sind und aus ihrer Sicht berichten. Immer und immer wieder. Zum Beispiel:

Twitter Thread

Ein Bericht über die Arbeit von Menschen, die den Content auf Facebook filtern müssen

James Clear „Atomic Habits“

Viele Menschen sagen von mir, ich sei diszipliniert. Ich selbst halte mich für ziemlich faul. Ich mache Dinge die mich anstrengen eher selten freiwillig, aber mir geht einfach viel leicht von der Hand, weil es eine Angewohnheit ist. Oder in unsere aktuellen Neudeutsch ein Habit. Und nicht vergessen, dabei immer schön Mindfull bleiben! Aber genau diese kleinen Habits erleichtern mir mein Leben. Die Angewohnheit haarklein alle meine Aufgaben in mein Bullet Journal, gemeinhin Notizbuch genannt, zu schreiben, sorgt dafür dass mir (fast) nichts mehr durch die Lappen geht. Journaling ist als eine gute Angewohnheit. Seit ich tracke wann ich Alkohol trinke, trinke ich deutlich seltener Alkohol. Viel und regelmäßig Alkohol zu trinken ist ein schlechte Angewohnheit und mein Habittracker ist mein Werkzeug mit etwas abzugewöhnen. Das waren nun zwei Bespiele für Habits und wie sie mein Leben schon vorher verbessert haben. So bin ich auf James Clears Buch Atomic Habits aufmerksam geworden.

James ist Blogger, ehemaliger Baseball-Profi und Personaltrainer. Eine typisch amerikanische Karriere. Irgendwann hat er mal einen schweren Unfall gehabt und wäre fast gestorben, dadurch wurde er zu einem neuen Menschen, das kennen wir doch jetzt schon unter anderem aus „Miracle Morning“ und von „Finding Ultra“? Aber diese Nahtod-Erfahrung hat in Clears Buch gar nicht so viel Gewicht. Er leitet damit ein Kapitel ein um aufzuzeigen wie er sich vom Kleinsten ins Größte hocharbeitet. Er verteilt alles was man tut in Angewohnheiten,  Good Habits und Bad Habits, und gibt dann Anleitungen wie man die guten verstärkt und am Ball bleibt, aber auch wie man schlechten Gewohnheiten den Raum nimmt und diese schwächt. Manchmal ist der Weg zum eigentlichen Ziel nicht so steil wenn man ein paar Kurven und Umwege fährt. Und wenn ich einen Berg hochlaufen will mach ich kleine, schnelle Schritte, die möglichst ohne Kraftaufwand passieren, sonst komme ich nämlich sicher nicht im Laufschritt oben an, wenn ich überhaupt ankomme.

Atomic Habits lässt sich sehr leicht lesen, auch englisch. Es ist verständlich geschrieben und durch die Zusammenfassungen jedes Artikels am Ende bleibt extrem viel hängen. Ich würde das Buch Leuten empfehlen, die sich schwer tun mit konstantem Training, Ziele häufig nicht erreichen oder einfach schnell zurück in alte Muster verfallen. Auch Menschen, die jetzt schon ein sehr achtsames und positives Leben führen können aus dem Buch Inspiration ziehen. Allerdings gibt das Buch keinen einzigen Lösungsweg vor. Es ist somit kein klassisches Selbsthilfebuch, sondern eine Inspiration. Mich hat es unter anderem dazu inspiriert dieses Blog hier anzulegen und endlich mal wieder ohne Grenzen und Einschränkungen zu schreiben. Seit kurzem nehme ich wieder meine Gitarre in die Hand. Etwas was ich versuche seit ich 15 bin zu erlernen. Nun mit fast 33 habe ich endlich die Motivation und die Methode gefunden regelmäßig zu üben. Kritisch zu sein und das nur weil ich es als tägliche Angewohnheit angenommen habe nach der Arbeit 15 Minuten zu üben.

Ich habe hier absichtlich nichts verlinkt. Wer sich für das Buch oder James Clear interessiert, der ist sicherlich in der Lage eine Webrecherche durchzuführen. Solltet ihr das Buch lesen lasst mich doch wissen wie ihr es fandet!

Ein Leben als Fußgänger

Das Auto wir ja immer als das Lieblingsthema der Deutschen bezeichnet. Mir sind Autos so was von egal. Im Idealfall haben sie vier Räder, die, wenn man das möchte, sich auch noch drehen. Bei meinem letzten Auto tun sie das nun nicht mehr oder nur noch unter Protest. Also freut sich nun ein Exporthändler über ein mittelmäßig gepflegtes Familienauto mit Dachgepäckträger. Und ich bin erst mal nur noch Fußgänger. Wie geht das jetzt also plötzlich autofrei zu leben?

Es ist nun fünf Jahre her, dass ich mir das erste Mal ein eigenes Auto kaufen musste. Ich war gerade Vater geworden und der Kleinwagen war irgendwie nicht groß genug für den Kinderwagen und den ganzen Kram, den man meint mitschleppen zu müssen. Als junge Eltern stellt man sich auch einfach ziemlich an. Also musste ich ein größeres Auto kaufen. Ich hatte gerade erst angefangen zu arbeiten. Tatsächlich hatte ich just mein erstes volles Gehalt als Architekt bekommen. Da ist man natürlich der Meinung man müsste nun ein großes, teures Auto kaufen. Über meine Naivität kann ich heute nur den Kopf schütteln. Dabei zu lächeln fällt mir irgendwie schwer.

CUT – Fünf Jahre später: Ich stehe im Autohaus, in welchem der silberne Diesel gerade auf der Hebebühne steht. Von unten kann man in den Motorraum schauen, der eigentlich gar nicht mehr so aussieht wie ein solcher. Man stellt sich da immer so Öl-triefend und schmutzig vor, doch ich sehe nur ein paar Kabel und einen zerfledderten Keilriemen, der da heraushängt zwischen dem vielen Plastik, und das sollte er eigentlich nicht machen. Glaube ich. Im Laufe der nächsten Tage stellt sich heraus, dass nicht nur der Keilriemen, sondern noch ein paar andere Teile nicht mehr funktionieren oder kurz davor sind kaputt zu gehen. Der Wagen ist finanziert und noch nicht komplett abgezahlt. So etwas nennt man einen wirtschaftlichen Totalschaden. Ich spüre wie in mir langsam eine Krise hochkocht. Sich Panik breit macht und Verzweiflung aufkeimt. Mir wird immer deutlicher, dass ich nun wohl kein Auto mehr habe. Ich versuche mich zu beruhigen. Andere versuchen mich zu beruhigen. Es nervt.

Mit jeder Stunde, in der ich meine Identität als Fußgänger mehr akzeptiere, wird der Gedanke angenehmer. Ja, es fühlt sich fast befreiend an. Nachdem ich durchgerechnet habe, wie viel ich jährlich an Steuern und Versicherungen für einen Gegenstand zahle, der mir eigentlich nur den geringen Komfort bereitet meine Wasserkiste nicht vom Supermarkt nach Hause zu tragen, muss ich wieder über meine Naivität den Kopf schütteln. Diesmal kann ich dabei sogar schmunzeln.

Seit gestern lese ich mir die verschiedenen Modelle und Angebote der Carsharinganbieter durch und vergleiche Wochenendtarife von Leihwagen-Ketten. Dabei komme ich zum Schluss, dass ein Leben ohne Auto ziemlich sorgenfrei sein kann und zumindest für jemanden wie mich, der in der Stadt wohnt, ziemlich unkompliziert möglich ist. Dabei spart man sich auch ordentlich Kohle und die Umwelt wird auch wieder etwas entlastet. Nun gilt es herauszufinden ob das wirklich alles so reibungslos funktioniert. Ich gebe mir dafür einen Versuchszeitraum von sechs Wochen. Genau dann geht nämlich der Camper wieder in die Zulassung und ich habe zumindest ein fahrtüchtiges, wenn auch nicht für den Stadtverkehr geeignetes, Fahrzeug.

Wer noch geheime Tipps hat für das Leben ohne Auto lasst mich daran bitte in den Kommentaren teilhaben!

Zwischen Stadt und Meer

Hohe Luftfeuchtigkeit und der salzige Geruch des Mittelmeers ist allgegenwärtig. Der Sommer war lang und heiß. Eigentlich hätte man gar nicht in den Süden fahren müssen um diese Wärme zu finden. Das Gegenstück der drückenden, schwülen Temperaturen ist das Meer mit seiner moderaten Temperatur. Flache Wellen brechen am Beton und Naturstein, der vom Drang nach immer mehr Fläche, ins Meer getrieben wurde. Die Stadt pulsiert am Rand wo urbaner Raum und Natur hart aufeinander treffen.

Das eigentliche Leben der Bewohner findet in verwinkelten Gassen statt. Dort ist es kühl und schattig. Der Himmel  ist nur in schmalen Streifen zu sehen und anscheinend ist es immer Dämmerung. Die salzige Luft versucht immer noch die Stadt wieder zurück ans Land zu treiben und greift die verputzten Fassaden an. Bringt sie sogar zum bröckeln, doch nie zum Einsturz. Dieser Kampf ist vergebens. Am Tag ist es still und Katzen dösen. Erst Nachts, wenn die Touristen satt sind, kehrt leben ein. Töpfe klappern, Musik wird gespielt. Lachen und Streit erfüllen die Straßen.

Immer im Zwiespalt zwischen alt und neu. Die Ästhetik alter Gebäude und die Anforderungen einer modernen Gesellschaft zerren an den Bewohnern, und auch an der Stadt selbst. Natürlich gewachsene Strukturen können den Anforderungen der Mobilität kaum noch stand halten. Als würde man zwei Bilder übereinander legen, sind zwei Städte in einer gefangen. Wenn sich die eine Stadt durchsetzt, so wird die andere zerstört und reißt ihren Zwilling in den Untergang. Ein sensibles Gleichgewicht der Realitäten.

[Alle Bilder wurden mit ein Diana Mini auf Kodak Ektachrome 35mm Film gemacht. Die Aufnahmen sind zwischen dem 23. August und dem 5. September 2018 in Rovinj und Pula entstanden.]